„Täuſ‌chet euch nicht! Got‌t läßt ſeiner nicht ſpot‌ten. Denn was der Menſ‌ch ſäet, das wird er auch erndten. Wer in ſeinem Fleiſ‌che ſäet, der wird vom Fleiſ‌che auch Verderben erndten.“ Galat. 6, 7 f. ¶

Im Namen Jeſu Chriſti! ¶

Was mich in dieſem Augenblick durchbebt, was ich durch Worte euch nicht ſagen kann und wozu es mir an Muth und Kraft gebricht, das ſagt euch dieſe Richtſtätte, der Anblick von Schwert und Blut, mit einer Stimme, die Mark und Bein durchdringt. Oder wer ist unter euch, der hier das Entſetzliche nicht fühlt, das in den Worten liegt: es iſt ſchrecklich, in die Hände der Gerechtigkeit zu fallen! Vor euren Augen hat ein Mann das Blutgerüſt beſtiegen und unter dem Schwerte ſein Leben ausgehaucht. Unglückſeliges Loos eines Menſchen, eines Chriſten, der den ſüßen Lohn des Guten, den nie fehlenden, ſicher treffenden Blitzſtrahl eines gerechten Richters kannte, der dreimal, als Knabe, als Jüngling und als Mann noch vor wenigen Jahren der Hinrichtung von Verbrechern anwohnte, auf den von geiſtlichen und weltlichen Lehrern eine große Summe Mühe zu ſeinem leiblichen und geiſtigen Wohle angewendet wurde, — der alſo ſein Loos nicht zufällig und mit verbundenen Augen aus der Urne zog, vielmehr mit hellem Geiſte, mit feſter Hand unter den unglücklichen das unglücklichſte ſich herausſuchte!

Warum iſt er nicht als Greis geſtorben, geehrt in der Gemeinde, hochgeliebt von ſeinen Kindern, die weinend ſeinem Sarg gefolgt, je am Allerſeelentage ſein Grab beſucht und dort durch ihren ſtillen, ſichtbaren Schmerz ein lebend Denkmal väterlicher Zucht und Liebe geweſen? Warum hat ihn eine unſichtbare Macht unaufhaltſam fortgeſtoſſen, mit eiſerner Kette hieher gezerrt und hier ſein Leben in ſeiner Vollkraft entzwei gebrochen? Das hat er ſelbſt gewollt. Sein Wille, ſeine Thaten haben an dieſem Blutgerüſt, Stufe und Stufe, gebaut, bis es vollendet ſtand, damit er es betrete, aber lebend nicht mehr verlaſſe. Das iſt die blutige, grauenvolle Erndte, welche ſich zucht- und ſchamloſen Menſchen, die menſchlicher und göttlicher Gerechtigkeit geſpottet, in vollen Garben vor die Füſſe legt; das ſind die endlich reifen Früchte, welche von Gottvergeſſenheit geſäet, von einem unchriſtlichen Leben gepflegt und von unerhörtem Frevelmuth geerndtet werden, — einſt waren ſie lieblich anzuſchauen, jetzt füllen ſie den Mund mit Aſche.

Daß doch der Schuldige allein ſtünde und ſolche Früchte auch allein zu koſten hätte, und nicht auch diejenigen, die mit ihm waren und leben mußten! Während ihr voll Furcht und Grauen die Blutſtätte umgebet und euere Blicke hieher richtet, liegt in der Ferne ſein hochbetagter Vater, ein zitternder Greis, auf den Knieen, Gottes Erbarmen für ſich und die Seele des armen Sünders zu erflehen, ſchrickt zuſammen vor dem Rauſchen eines dürren Blattes, erbleicht vor dem Wehen des Windes, als ob das Sauſen des Schwertes, das dem Sohne das Leben nimmt, an ſein Ohr dringe, und — erhebt ſich lebensſatt. Dieſe Stunde legt ſchrecklichen Lohn auf das Grab einer längſt geſtorbenen, liebevollen Mutter; wäre noch Leben in dem Grabe, ſie würde ſich im Sarge wenden und ausrufen: Iſt das dein Dank für ſo viel Mühe und Sorge! warum haſt du mir das gethan? Ach ſeine armen, unſchuldigen Kinder, die mit Staunen von den Thaten desjenigen hörten, den ſie Vater nennen und als Vater lieben müſſen, die laut klagend von dem väterlichen Heerde weggeflohen ſind, als hätte ſich in ihrer Mitte eine Schlange emporgerichtet, drohend, ſie in ihrem Ringe zu verſtricken und Gift in die fließenden Wunden zu gießen, die, nicht wie andere Kinder, wenn ſie den Namen ihrer Eltern hören, aufjauchzen, vielmehr ihr Angeſicht mit beiden Händen bedecken und wegfliehen, um Scham und Schmerz zu verhüllen!

Sehet die ſchweren Folgen eines gottvergeſſenen, eines gottverlaſſenen Lebens! Der Baum, der ſchlechte, der giftige Früchte trug, iſt herausgeriſſen und hingeworfen, daß ſeine Blätter, Zweige und Aeſte dorrend hinſterben; aber in ſeinem Falle hat er ringsum laut ſchallend andere mit zur Erde geſchleudert und Bäumchen geknickt, die kaum zu wachſen begonnen. So wirkt der von Himmel niederfahrende Feuerſtrahl, brennend, zerſchmetternd, vernichtend nach allen Seiten. ¶

Und nun, — was erwartet ihr von mir? Etwa daß ich die Gemordeten aus ihren Gräbern wecke, zur Anklage gegen den Mörder aufrufe und ihr Bild vor eure Augen ſtelle? Soll ich, den Blutſpuren folgend, von hier in das Dunkel des Waldes und von dort den Ufern des Sees entlang die Stellen ſuchen und an ihnen verweilen, wo menſchliche Rohheit und Schändlichkeit ſchauderhafte Denkmale ſich errichtet? Soll ich zeigen, wie in jeder dieſer Thaten Zucht und Schamhaftigkeit, Gefühl und Würde des Menſchen gräßlich niedergetreten iſt? wie ſie einen Willen vorausſetzen, der unchriſtlich, einen Menſchen, der tief unter das Thier herabgeſunken iſt? Erlaßt mir das! Es war mehr als genug, wer davon einmal hörte, und dann konnte nur ungewiß ſein, ob Abſcheu und Zorn größer, oder ob er mehr daran zweifelte, daß ſolches auch nur möglich ſei.

Aber das darf und kann ich nicht verſchweigen, dieſe Thaten ſtehen nicht allein. Sie waren nur ein Glied in einer langen Reihe von entſetzlichen Thaten, die innerhalb Eines Jahres alle Welt mit Grauſen und mit Furcht erfüllten. Hat etwa Noth und Hunger ſolche Schreckniſſe ausgeboren? oder gibt es eine ſolche Tiefe von Bedrängniß, wodurch dieſe Gräuel ſich erklären ließen? Ach mein Gott! die Welt ſchmachtete oft ſchon länger und in viel tiefern Abgründen der Verzweiflung, ohne daß ſie das erlebte, was ein ganzes Jahr hindurch Schlag auf Schlag alle Gemüther verwirrte. Nicht das Hungerjahr hat uns das gebracht, noch gilt das Geſagte nur von den Klaſſen der menſchlichen Geſellſchaft, die mit Schweiß und Noth das ſpärliche ſchwarze Brod ſich erwerben; die Zeichen deuten auch dorthin, wo man ſchwarzes Brod nicht ißt, und von menſchlicher Bedrängniß oft auch nicht eine Ahnung hat.

Nicht das Hungerjahr war die Mutter und Quelle davon, es hat nur die dünne Kruſte eingeſchlagen, auf der wir ſicher bauen und wandeln, es hat nur den Schleier zerriſſen und uns in die Tiefe blicken laſſen, an deren Rand wir ſtehen, und läßt uns jetzt erkennen, ob Chriſtenthum, ob Zucht in den Familien walte, ob der Grund feſt ſei und unerſchütterlich, auf dem unſere Gemeinſchaften ruhen. So viel iſt gewiß, das vergangene Jahr mit all dem, was wir erlebten, iſt eine ſchwere Demüthigung für die, welche, nicht müde über alle Jahrhunderte unſer Jahrhundert zu erheben, nur von ſeiner Bildung redeten, nur ſeine Zuſtände prieſen und erhoben, und ſich nun geſtehen mußten, welche tiefe Verderbniß, welche Rohheit und ſittliche Verſunkenheit unter einen ſchwachen Hülle verborgen liegt, die nur eines ſchwachen Hauches gewärtig iſt, um gleich Waſſerfluthen loszubrechen und Alles in den Wellen zu begraben. ¶

Wenn ich aber an den Thaten vorübergehe, welche die letzte Stufe zu dieſem Blutgerüſt gefügt haben, ſo habt ihr ein Recht zu verlangen, daß man euch die tiefe, einzige Quelle nenne, aus der jene floſſen und flieſſen mußten, daß man mit einer Leuchte in die Irrgänge eines menſchlichen Lebens dringe, um Ort und Zeit zu finden, von wo die eiſerne Kette, Glied um Glied, geſchmiedet wurde, welche bis hieher reicht und hier endet. So höret den, welcher vor dem ewigen Richter in ein ſchweres Gericht eingegangen iſt. Was bekennt er als den Anfang, als die Mutter all ſeiner Thaten? „Mir fehlte,“ ſo lautet ſein öffentliches Zeugnis, „chriſtliche Zucht und Erziehung; ich hörte ſchöne Worte, aber ich ſah ſchlimme Beiſpiele; daher dann in ſpätern Jahren kein Grund und kein Halt in meinem Thun und Laſſen, dann ein zerrüttetes eheliches Leben, daraus peinigende Armuth und endlich das, was ich geworden, ein Räuber und ein Mörder.“

Väter und Mütter! habt ihr das Bekenntniß gehört? habt ihr gehört, wie dieſe Worte gleich einem Fluche auf jene Tage zurückgeſchleudert werden, an die der Greis noch durch Dankbarkeit und ſüße Erinnerung gebunden iſt? Wann aber ſind jene Tage Freude und Stolz eines ganzen Lebens? Wenn dort die Güter erworben wurden, die allein das Menſchenleben beglücken können; wenn eine chriſtlich fromme, eine züchtig ehrbare Mutter uns beten und arbeiten lehrte, wenn vor den Augen eines chriſtlich rechtſchaffenen Vaters Nichts geduldet wurde, was der Anfang des Müſſiggangs und ausgelaſſener Sitte iſt, — dann haben ſie ihren Kindern eine Jugendzeit erhalten, auf die ein glückliches Alter folgen und ruhen kann. Chriſtliche Eltern, die im Glück den Dank an den Himmel nicht vergeſſen, die im Unglück, durch ihren Glauben und die Uebung des Glaubens geſtärkt, nicht verzweifeln, die auf Gottesfurcht und Gottesdienſt ihr Haus gegründet, und darnach die Ihrigen in Ernſt und Liebe leiten, die gebären und erziehen der Welt keine Kinder, welche ihnen zur Schande, der Geſellſchaft zur Laſt, Allen eine geſchwungene Geißel ſind.

Und das gilt von Reichen und von Armen. Den Armen ſind jene die einzigen Güter in einer harten, habſüchtigen Welt, den Reichen ein Damm vor thörichtem Uebermuth, ein Schmuck, der ſie auch ohne Noth die Noth ihrer Brüder mitfühlen und erleichtern läßt. Daß doch alle Kinder mit Freude auf die Vergangenheit, alle Eltern ohne Furcht in die Zukunft blicken könnten! „Täuſ‌chet euch nicht! was der Menſ‌ch ſäet, das wird er erndten.“ Wie oft erſchallt bittere Klage hochbetagter Väter und Mütter über Härte und Undank erwachſener Kinder! wie oft ſieht man ſie von ihrem Heerde ohne Erbarmen weggedrängt, kann kaum die Stunde erwarten, wo ſich die Augen ſchließen, die ſo liebevoll an der Wiege gewacht und, ohne es zu wiſſen, die Natternbrut beſchützt! Wie oft ſind den Eltern die eigenen Kinder eine feſt gebundene Ruthe, die ihnen Alles gibt, was ein Menſchenherz quälen und brechen kann!

Aber könnten wir überall, wo wir ſolches ſehen und hören, auf die Anfünge zurückgehen, ſo würden wir ausrufen: „Sammelt man Feigen von den Diſteln oder Trauben von den Dornen?“ Matth. 7, 16. Oder glaubet ihr, eure Kinder werden euch Gehorſam und Ehrfurcht erweiſen, nachdem ihr vor ihren Augen weder Dank noch Ehrfurcht gegen Gott gezeigt, wohl mit Worten gelehrt, aber durch ein chriſtliches Leben nicht bewieſen? Habt ihr ſie nicht Gottesfurcht gelehrt, ſo werden ſie euch um ſo weniger fürchten, als ſie in euch gebrechliche Menſchen voll Fehler und Leidenſchaften erblicken, und euch als Unnützen das Haus über dem Haupte zuſammenbrechen.

Oder iſt ihr Leben darum geſichert, weil ihr ihnen Hab und Gut geben könnt? Aber welche Macht allein bewahrt ſie vor Verſchwendung und lehrt ſie Gerechtigkeit? Weißt du nicht, daß jedes Schiff, auch das mit dem Koſtbarſten beladene, ohne ſicher leitende Hand an tauſend Klippen zerſchellt und nicht zum Hafen gelangt? Wo ſind aber die Augen, wo iſt die Hand, die euch und euere Kinder ſicherer leitet, als die des allmächtigen und allgütigen Gottes? Ohne ſeine Erleuchtung iſt jede Gabe, iſt alles Wiſſen eine Waffe, die nur zerſtören kann; ohne Chriſtenthum, ohne chriſtliche Zucht habt ihr in Mühe geſäet und werdet in Thränen erndten; und hättet ihr ihnen Alles gegeben und ſie Alles gelehrt, ſie treiben wie reiche, aber ſegel- und ruderloſe Schiffe auf offenem Meere; dann haben ſie ſchreiben gelernt, um zu fälſchen, und rechnen, um zu betrügen. ¶

Sehet und erkennet an dem Blute hier die bittern Früchte vernachläſſigter Erziehung. Denn auf die Anfänge nicht chriſtlicher Zucht wirft der Hingerichtete den erſten Stein der Anklage, davon nur ſeine Mutter ausnehmend, von der er ſagt, daß ſie ſtets wie ein Engel ihm zur Seite geſtanden, durch ihr Gebet ihn beſchützt, bis mit ihrem allzu frühen Tod auch dieſer Stern herabgeſunken und der Himmel ſich ihm verdüſterte. Nun in die Welt hinaus tretend, „was ſah ich?“ rief er aus; „des Guten wenig, des Böſen viel, und überall laute, tauſendfache Einladung dazu; und das brachte mich dem Unglück mit doppelten Schritten näher.“

Gewiß, die Welt, ein offener Markt, wo jede Leidenſchaft geweckt, zu jedem Genuß eingeladen wird, die weiß unſere Kräfte nur zu prüfen und zum Kampfe herauszufordern; gewiß, wer ohne höhere Stärke, ohne ſchützende Waffen heran tritt, der iſt ſchon halb unterlegen; ſie weiß nichts von Gottesfurcht, von Gewiſſen und Gebet, ſie weiß nichts vom Empfang der heiligen Sakramente; in ihr ſteht hoch, wer dieß alles nicht zu haben und nicht zu kennen ſcheint, und am höchſten, wer es zu verſpotten und öffentlich durch die That zu läugnen die erſchreckliche Kühnheit hat. Wenn man aber von dem Hingerichteten in Wahrheit nicht ſagen kann, daß er weder dem Spiele noch dem Trunke ergeben war, ſo fröhnte er um ſo mehr Ausſchweifungen, welche mit ſcharfen Zähnen an der Kraft des Körpers wie des Geiſtes nagen, und die ſo ſehr jedes Gefühl, jede Scham in ihm tilgten, daß er die erſte ſeiner ſchauderhaften Thaten vollbringen und in wenigen Tagen vergeſſen konnte. All das wußte er zu verbergen, und galt ſo der Welt für einen Mann, der unbeſcholten und arbeitſam ist.

Nach einem ſolchen Leben trat er in den Stand der Ehe, und rechtfertigte alsbald die Worte der Schrift: „Die ſo in den Stand der Ehe treten, daß ſ‌ie Gott von ſ‌ich und ihrem Herzen ausſ‌chlieſ‌ſen und ihre Luſt alſo pf‌legen, wie Pferd und Maulthier, die keinen Verſtand haben; über die hat der Böſe Gewalt.“ Tob. 6, 17. Er ſelbſt bezeichnet als die zweite Stufe ſeines Unglücks ein unglückliches eheliches Leben. Kann Jemand darüber ſtaunen? ſtaunen müßte man, wenn es ſich nicht alſo begeben. Hat Luſt und Ausſchweifung Jemanden in die Bande der Ehe geführt, was erwartet ihr von ihm? Ja, iſt es unchriſtlicher Sinn, welcher die Bande der Ehe knüpfte, ſo wird auch nirgends die Kraft zu finden ſein, weder die Pflichten dieſes Standes zu erfüllen, noch ſeine Beſchwerden zu ertragen. Und ſagt ihr, daß viele Ehebündniſſe durch äußere Rückſichten geſchloſſen werden, gut, ſo habt ihr auch damit die Quelle genannt, die Quelle ſo vieler unglücklicher Ehen. Nehmet an, wie man ſich manchmal nicht heimlich, ſondern laut zuruft: Rückſicht auf Hab und Gut, Rückſicht auf körperliche Wohlgeſtalt haben irgendwo einen ſolchen Bund geſchloſſen; man wußte nichts von göttlicher Gnade, ohne welche die Ehe weder geſchloſſen noch gehalten werden kann. Kehret, ich will nicht ſagen, nach Monaten, kommt nach Jahren wieder und ſehet nach dem ehelichen Frieden. Es iſt wahr, man hat Tauſende beigebracht, damit aber auch Jemand in ſein Haus geführt, der nur verſchwenden kann, und — nach Jahren ſind von den Tauſenden kaum Hunderte noch zu zählen, dagegen Unzufriedenheit nicht zu meſſen. Bei Andern hat eine Krankheit von wenig Tagen das Feuer der Augen gelöſcht, die Wangen gebleicht und die Kraft des ganzen Körpers gebrochen und damit den Abgott getödtet, den man anbetete, von einem andern Gott wollte man nichts wiſſen; daher dann Abſcheu und Ekel für die Dauer mehr als Eines menſchliches Lebens; dann erhebt ſich Haß und Zorn gegen Unſchuldige, zeigt ſich Unzufriedenheit mit menſchlichen und mit göttlichen Dingen.

O könnte man in den erſten Tagen des Jubels in die Ferne ſchauen und das Schickſal ſo mancher Ehe ſehen, könnte man ſehen, wie die Trauer- und Jammergeſtalten ſchon ſo bald heraneilen und eine unſichtbare Hand die Blumen und Kränze zerreißt, — wie mit einem Donnerſchlage würde Sang und Klang verſtummen und Alles entſetzt von der Stelle fliehen. So war auch das eheliche Leben des Hingerichteten nach ſeinem öffentlichen Geſtändniß bald ein Leben voll Qual und Bitterkeit. Wo die größere Schuld liegt, durch weſſen Schuld Haß und Abneigung unheilbar geworden, das weiß der allwiſſende Gott.

Iſt aber Jemand, der durch Wort oder That das Band zwiſchen den Eheleuten mit frevelhafter Hand zerriſſen, dadurch mithelfende Urſache an den folgenden Frevelthaten und an dem ſchweren Unglück einer ganzen Familie geweſen, dem rufe ich von dieſer Stätte der Gerechtigkeit Wehe! zu. Wenn auch dem Arm eines menſchlichen Richters nicht erreichbar, dem ewigen Richter, der nicht an menſchliche Augen und Zungen gebunden iſt, entweicht er nicht. Und ſo gewiß es ſein Wille geweſen, den Mörder in ſeinen Schlingen zu fangen und deſſen Blut hier zu vergießen, ſo gewiß wird er Thaten nicht unbeſtraft laſſen, die mit beigetragen, eine ganze Familie, unſchuldige Kinder, in namenloſes Unglück hinabzuſtoſſen. ¶

Eine der ſchwerſten Folgen dieſer Ehe war bald peinigende Armuth. Sehet, ſo ſind unglückliche Ehen, ſo iſt ein unchriſtliches Leben die Quelle, die unerſchöpfliche Quelle der Armuth. Sie waren nicht arm, aber durch ihr Leben wurden ſie arm. Und daran knüpfte ſich alsbald gröſſere Schuld und andere Verbrechen. Nicht fleißige Arme ſind eine Laſt der Gemeinde, ſondern jene Müſſiggänger, die das Ihrige verſchwendet, ohne Chriſtentum und Zucht, voll Frechheit, ohne Hand und Fuß zu rühren, ernährt werden wollen und ernährt werden müſſen von fleißigen Händen. Es gibt kein göttliches Geſetz, das dem Armen, weil er arm iſt, die Ehe verböte; aber nicht aus armen Ehen, die chriſtlich ſind, ſtrömt jene Noth wie Wellen einer unverſiegbaren Fluth, die Alles zu verſchlingen droht, ſondern aus Müſſiggang, Verſchwendung und Zuchtloſigkeit, — aus ſolchen Ehen, in denen Ungebundenheit der Sitten, Ungehorſam gegen menſchliche und göttliche Geſetze den Kindern als das größte Erbe von den Eltern übertragen werden; von Eltern der Art ſtammen Kinder, die, kaum der Schule entwachſen, mehr Bedürfniſſe haben, als vor hundert Jahren Erwachſene. Woher Armuth? Von einer maßloſen Verſchwendung; Niemand will hinter dem Andern zurückbleiben: der Knecht dem Herrn es gleich thun, die Magd der Frau, — daher ſo viele Arme, ſo viele unchriſtliche Arme mit ſo frevelhaften Gelüſten, mit ſo ungemeſſenen Anforderungen, daß ſie Zorn und Beſtürzung zugleich erregen.

Wo wird das enden? Wo es hier geendet, das ſehet ihr. Nachdem die Familie in Armuth geraten war, ſuchte er durch Diebſtähle, die er wohl zu verbergen wußte, die entſtandene Lücke des Vermögens auszufüllen; muthwillige, für ihn unnütze Beſchädigungen an dem Eigenthum ſeiner Mitbürger zeigen die tiefe Bosheit eines erbitterten Gemüthes. Wen er immer für ſeinen Feind hielt, — und er hielt manchen für ſeinen Feind, — auf den lauerte ſeine Rache, nach deſſen Eigenthum richteten ſich zur Nachtzeit ſeine Füſſe und ſeine Hände. So kam das Hungerjahr, das Viele in Geſinnung und That prüfen ſollte. Aber nachdem es mit ihm ſo weit gekommen, daß er Noth empfand, aber nicht ärger, als Andere, die ehrlich und chriſtlich lebten, — was that er? erkannte er in ſeinem Willen und Leben die Schuld von dem, was er ſich und ſeiner Familie aufgebürdet? Mit Nichten. Jetzt war ihm, als ſei kein Gott im Himmel und keine Gerechtigkeit auf Erden.

Verſteht es wohl: ein Leben von vielen Jahren lag hinter ihm, in welchen er wenig nach Gott, noch weniger nach menſchlicher Gerechtigkeit gefragt hatte; nachdem ihm aber das Waſſer bis zum Munde drang, wirft er Schuld und Noth auf Gott, den er kannte und nicht liebte, auf menſchliche Gerechtigkeit, die er kannte und doch mit Füſſen trat. Jetzt nahte aber auch ſchnell das Aeußerſte. Immer hat es ſich durch alle Zeiten an Einzelnen, wie an ganzen Völkern, als Wahrheit bewieſen, daß zuletzt die eigene Bosheit zum Steine wurde, der mit zermalmender Wucht auf das Haupt deſſen niederſtürzte, deſſen Hände ihn zum fremden Schaden fortgeſchleudert, daß die Sünde zur Geißel wuchs, mit der ſie ſich wie im Wahnſinn bis auf die Knochen, bis zum Tode peitſchten, daß die Frevelthaten endlich die tiefen Gruben öffneten, in welche das Wohl der Einzelnen, der Familien und der Gemeinſchaften rettungslos hinabſank.

Wenn Gottesfurcht der Anfang der Weisheit iſt, ſo iſt Gottloſigkeit das weit geöffnete Thor zu jedem Frevel und zu jeder Unthat. Das bewies der Hingerichtete durch die erſte ſeiner Blutthaten, welche von ſolchen Umſtänden begleitet iſt, von ſolcher, mehr als thieriſchen Rohheit, von ſolcher Schamloſigkeit zeugt, daß ſie ſelbſt unter den roheſten Völkern als eine der größten Gräueltaten verabſcheut worden wäre. Was uns aber noch mehr mit Entſetzen faßt, das iſt, daß ihn die vollbrachte That wenige Tage kaum beunruhigte, daß ſein Gewiſſen darüber ſtumm war wie das Grab, daß er nach Jahren kaum den Tag, kaum das Jahr anzugeben wußte, an dem er die grauenvolle That verübt hatte.

Dieſer folgte vor einem Jahre das andere, ſchwere Verbrechen. Augenblickliche Bedrängniß, der Klang, der Anblick einiger Silbermünzen, das waren die Schlingen, welche das Böſe vor ihm ausbreitete. Da entſtand kein ſchwerer Kampf zwiſchen Gut und Bös. Längſt ſchon hatte er ſeinen Schutzgeiſt von ſich geſtoſſen, und dem zur Linken, der finſtern Macht des Böſen, mit Leib und Seel ſich hingegeben. Es war nur ein kaltes Abwägen, bei der die Hand ſicher, das Auge feſt auf die ſchwankenden Schalen hingerichtet iſt; es war kalte Berechnung, wie das erkorne Opfer morden, den Gemordeten verbergen und das Blutgeld für ſich verwenden.

Alles hatte er berechnet, Alles überlegt, aber wie Kain, der Brudermörder, Eines vergeſſen: daß das vergoſſene Blut von der Erde zum Himmel um Rache ſchreie. Gott, der Herr, hörte ſein Geſchrei und ſandte ſeine Boten aus. Der Sturmwind raſ‌te einher und riß die dürren Blätter von der Grube des Gemordeten fort, Regenguß fraß die Erde weg; da erſchien die Hand der Leiche, um der Gerechtigkeit den Mord, bald auch den Mörder zu zeigen. Sie hat ihn gefunden und hier vor euren Augen ihm den ſchweren Lohn zugewogen. Dort die Saat, hier die Erndte.

Ich bin am Ende. Nachdem ich, Blutſpuren folgend, euch in die Trümmer eines chriſtlichen Hauweſens führte und von einem Sohne und Familienvater nur ſagen konnte, was uns mit Scham, mit Beſtürzung und mit Entſetzen erfüllt, ſo bleibt mir Eines noch zu ſagen übrig, der Menſchheit zur Ehre, uns Chriſten zum Troſt, daß der arme Sünder nicht unbußfertig, nicht ohne tiefe Reue aus dieſer Welt geſchieden iſt. Das war ein ſchreckliches Erwachen! Der Anblick ſeiner armen, unſchuldigen Kinder, der Gedanke an ihr künftiges Schickſal, die Erinnerung an das Grab ſeiner Mutter ſprengten endlich das dreifache Erz, das ſich um eine menſchliche Bruſt gelegt, weckten mit Hammerſchlägen das Gewiſſen, daß es gleich einer gepreßten Flamme hervorbrach und ihn erfaßte, ſo daß er laut zu Gott und Menſchen um Vergebung jammerte, und ſich krümmte wie ein Wurm, den ein Stein zermalmt. Gott der Herr ſei ihm gnädig und barmherzig! ¶

Chriſtliches Volk! auf Chriſtenthum und chriſtlicher Zucht beruht unſer Aller Wohl: der Gehorſam eurer Kinder, die Heiligkeit der Ehe, das Glück der Familien, das Heil und der Friede eurer Seele; um Chriſti willen wird den Armen das Brod gebrochen und den Kranken und Nothleidenden hilfreiche Hand geboten. Und wer daran ſeine Hand zu legen wagt durch Wort oder That, der zerrüttet eine Ordnung, auf die nur Verwirrung folgen wird.

Wiſſet, die alte heidniſche Welt hatte einſt jede Frucht gepflückt, jeden Genuß bis zum letzten Tropfen getrunken, jeder Leidenſchaft die Zügel freigelaſſen, — und was war das Ende? eine Zuchtloſigkeit, ein Sittenverderbniß durch alle Klaſſen, das Worte nicht ſchildern können und wie die Welt noch keines ſah, ſolche Angſt, ſolche Verzweiflung über den Erdkreis, daß die Fugen des Gebäudes auseinanderwichen und es mit ſeinen tauſend Göttern, trotz ſeiner Weisheit, ſeiner Pracht und ſeines Reichthumes, krachend zuſammenbrach. Wer war nun, der den Blutenden die Wunden verband, den Erdkreis von der ewigen Angſt entlaſtete, unter den Trümmern umherwandelte, und die Welt und die Menſchheit neu ſchuf? Die Gnade des Himmels, die Macht des Chriſtenthums, und außer ſeiner Ordnung gibt es keine Ordnung mehr.

Schon einmal hat es die Welt verſucht, dieſe chriſtliche Ordnung umzukehren und nach Menſchen-Art und Menſchen-Weisheit Alles neu zu bauen. Sie hat es ſchwer gebüßt, und ſank, nachdem ſie die Kreuze ausgeriſſen, den Unglauben auf den Altar erhoben und alle Verhältniſſe verwirrt hatte, rathlos, verzweiflungsvoll und mit Wunden bedeckt, zu den Füſſen des göttlichen Erlöſers, den ſie verſpottet, und rief aus, wie der überwieſene Apoſtel: „Mein Herr und mein Got‌t!“ Darum, wer an dieſer chriſtlichen Ordnung zu rütteln ſich erkühnt, im Kleinen wie im Großen, der iſt euer ärgſter Feind; der lehret eure Kinder Ungehorſam, und bald auch die Ehe nicht mehr heilig halten, der zertrümmert das Glück der Familien, reißt den Frieden aus der Seele und ſchenkt ihr dafür Unglauben und Verzweiflung, der ſtößt euch zurück in die Nacht und pfadloſe Wüſte des Heidenthums. Amen. ¶

Kaplan Georg Pfahler, April 1848 (herausgegeben von Johann Thomas Stettner, Lindau).