»Täuschet euch nicht! Gott läßt seiner nicht spotten. Denn was der Mensch säet, das wird er auch erndten. Wer in seinem Fleische säet, der wird vom Fleische auch Verderben erndten.« Galat. 6, 7 f. ¶

Im Namen Jesu Christi! ¶

Was mich in diesem Augenblick durchbebt, was ich durch Worte euch nicht sagen kann und wozu es mir an Muth und Kraft gebricht, das sagt euch diese Richtstätte, der Anblick von Schwert und Blut, mit einer Stimme, die Mark und Bein durchdringt. Oder wer ist unter euch, der hier das Entsetzliche nicht fühlt, das in den Worten liegt: es ist schrecklich, in die Hände der Gerechtigkeit zu fallen! Vor euren Augen hat ein Mann das Blutgerüst bestiegen und unter dem Schwerte sein Leben ausgehaucht. Unglückseliges Loos eines Menschen, eines Christen, der den süßen Lohn des Guten, den nie fehlenden, sicher treffenden Blitzstrahl eines gerechten Richters kannte, der dreimal, als Knabe, als Jüngling und als Mann noch vor wenigen Jahren der Hinrichtung von Verbrechern anwohnte, auf den von geistlichen und weltlichen Lehrern eine große Summe Mühe zu seinem leiblichen und geistigen Wohle angewendet wurde, – der also sein Loos nicht zufällig und mit verbundenen Augen aus der Urne zog, vielmehr mit hellem Geiste, mit fester Hand unter den unglücklichen das unglücklichste sich heraussuchte!

Warum ist er nicht als Greis gestorben, geehrt in der Gemeinde, hochgeliebt von seinen Kindern, die weinend seinem Sarg gefolgt, je am Allerseelentage sein Grab besucht und dort durch ihren stillen, sichtbaren Schmerz ein lebend Denkmal väterlicher Zucht und Liebe gewesen? Warum hat ihn eine unsichtbare Macht unaufhaltsam fortgestossen, mit eiserner Kette hieher gezerrt und hier sein Leben in seiner Vollkraft entzwei gebrochen? Das hat er selbst gewollt. Sein Wille, seine Thaten haben an diesem Blutgerüst, Stufe und Stufe, gebaut, bis es vollendet stand, damit er es betrete, aber lebend nicht mehr verlasse. Das ist die blutige, grauenvolle Erndte, welche sich zucht- und schamlosen Menschen, die menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit gespottet, in vollen Garben vor die Füsse legt; das sind die endlich reifen Früchte, welche von Gottvergessenheit gesäet, von einem unchristlichen Leben gepflegt und von unerhörtem Frevelmuth geerndtet werden, – einst waren sie lieblich anzuschauen, jetzt füllen sie den Mund mit Asche.

Daß doch der Schuldige allein stünde und solche Früchte auch allein zu kosten hätte, und nicht auch diejenigen, die mit ihm waren und leben mußten! Während ihr voll Furcht und Grauen die Blutstätte umgebet und euere Blicke hieher richtet, liegt in der Ferne sein hochbetagter Vater, ein zitternder Greis, auf den Knieen, Gottes Erbarmen für sich und die Seele des armen Sünders zu erflehen, schrickt zusammen vor dem Rauschen eines dürren Blattes, erbleicht vor dem Wehen des Windes, als ob das Sausen des Schwertes, das dem Sohne das Leben nimmt, an sein Ohr dringe, und – erhebt sich lebenssatt. Diese Stunde legt schrecklichen Lohn auf das Grab einer längst gestorbenen, liebevollen Mutter; wäre noch Leben in dem Grabe, sie würde sich im Sarge wenden und ausrufen: Ist das dein Dank für so viel Mühe und Sorge! warum hast du mir das gethan? Ach seine armen, unschuldigen Kinder, die mit Staunen von den Thaten desjenigen hörten, den sie Vater nennen und als Vater lieben müssen, die laut klagend von dem väterlichen Heerde weggeflohen sind, als hätte sich in ihrer Mitte eine Schlange emporgerichtet, drohend, sie in ihrem Ringe zu verstricken und Gift in die fließenden Wunden zu gießen, die, nicht wie andere Kinder, wenn sie den Namen ihrer Eltern hören, aufjauchzen, vielmehr ihr Angesicht mit beiden Händen bedecken und wegfliehen, um Scham und Schmerz zu verhüllen!

Sehet die schweren Folgen eines gottvergessenen, eines gottverlassenen Lebens! Der Baum, der schlechte, der giftige Früchte trug, ist herausgerissen und hingeworfen, daß seine Blätter, Zweige und Aeste dorrend hinsterben; aber in seinem Falle hat er ringsum laut schallend andere mit zur Erde geschleudert und Bäumchen geknickt, die kaum zu wachsen begonnen. So wirkt der von Himmel niederfahrende Feuerstrahl, brennend, zerschmetternd, vernichtend nach allen Seiten. ¶

Und nun, – was erwartet ihr von mir? Etwa daß ich die Gemordeten aus ihren Gräbern wecke, zur Anklage gegen den Mörder aufrufe und ihr Bild vor eure Augen stelle? Soll ich, den Blutspuren folgend, von hier in das Dunkel des Waldes und von dort den Ufern des Sees entlang die Stellen suchen und an ihnen verweilen, wo menschliche Rohheit und Schändlichkeit schauderhafte Denkmale sich errichtet? Soll ich zeigen, wie in jeder dieser Thaten Zucht und Schamhaftigkeit, Gefühl und Würde des Menschen gräßlich niedergetreten ist? wie sie einen Willen voraussetzen, der unchristlich, einen Menschen, der tief unter das Thier herabgesunken ist? Erlaßt mir das! Es war mehr als genug, wer davon einmal hörte, und dann konnte nur ungewiß sein, ob Abscheu und Zorn größer, oder ob er mehr daran zweifelte, daß solches auch nur möglich sei.

Aber das darf und kann ich nicht verschweigen, diese Thaten stehen nicht allein. Sie waren nur ein Glied in einer langen Reihe von entsetzlichen Thaten, die innerhalb Eines Jahres alle Welt mit Grausen und mit Furcht erfüllten. Hat etwa Noth und Hunger solche Schrecknisse ausgeboren? oder gibt es eine solche Tiefe von Bedrängniß, wodurch diese Gräuel sich erklären ließen? Ach mein Gott! die Welt schmachtete oft schon länger und in viel tiefern Abgründen der Verzweiflung, ohne daß sie das erlebte, was ein ganzes Jahr hindurch Schlag auf Schlag alle Gemüther verwirrte. Nicht das Hungerjahr hat uns das gebracht, noch gilt das Gesagte nur von den Klassen der menschlichen Gesellschaft, die mit Schweiß und Noth das spärliche schwarze Brod sich erwerben; die Zeichen deuten auch dorthin, wo man schwarzes Brod nicht ißt, und von menschlicher Bedrängniß oft auch nicht eine Ahnung hat.

Nicht das Hungerjahr war die Mutter und Quelle davon, es hat nur die dünne Kruste eingeschlagen, auf der wir sicher bauen und wandeln, es hat nur den Schleier zerrissen und uns in die Tiefe blicken lassen, an deren Rand wir stehen, und läßt uns jetzt erkennen, ob Christenthum, ob Zucht in den Familien walte, ob der Grund fest sei und unerschütterlich, auf dem unsere Gemeinschaften ruhen. So viel ist gewiß, das vergangene Jahr mit all dem, was wir erlebten, ist eine schwere Demüthigung für die, welche, nicht müde über alle Jahrhunderte unser Jahrhundert zu erheben, nur von seiner Bildung redeten, nur seine Zustände priesen und erhoben, und sich nun gestehen mußten, welche tiefe Verderbniß, welche Rohheit und sittliche Versunkenheit unter einen schwachen Hülle verborgen liegt, die nur eines schwachen Hauches gewärtig ist, um gleich Wasserfluthen loszubrechen und Alles in den Wellen zu begraben. ¶

Wenn ich aber an den Thaten vorübergehe, welche die letzte Stufe zu diesem Blutgerüst gefügt haben, so habt ihr ein Recht zu verlangen, daß man euch die tiefe, einzige Quelle nenne, aus der jene flossen und fliessen mußten, daß man mit einer Leuchte in die Irrgänge eines menschlichen Lebens dringe, um Ort und Zeit zu finden, von wo die eiserne Kette, Glied um Glied, geschmiedet wurde, welche bis hieher reicht und hier endet. So höret den, welcher vor dem ewigen Richter in ein schweres Gericht eingegangen ist. Was bekennt er als den Anfang, als die Mutter all seiner Thaten? »Mir fehlte,« so lautet sein öffentliches Zeugnis, »christliche Zucht und Erziehung; ich hörte schöne Worte, aber ich sah schlimme Beispiele; daher dann in spätern Jahren kein Grund und kein Halt in meinem Thun und Lassen, dann ein zerrüttetes eheliches Leben, daraus peinigende Armuth und endlich das, was ich geworden, ein Räuber und ein Mörder.«

Väter und Mütter! habt ihr das Bekenntniß gehört? habt ihr gehört, wie diese Worte gleich einem Fluche auf jene Tage zurückgeschleudert werden, an die der Greis noch durch Dankbarkeit und süße Erinnerung gebunden ist? Wann aber sind jene Tage Freude und Stolz eines ganzen Lebens? Wenn dort die Güter erworben wurden, die allein das Menschenleben beglücken können; wenn eine christlich fromme, eine züchtig ehrbare Mutter uns beten und arbeiten lehrte, wenn vor den Augen eines christlich rechtschaffenen Vaters Nichts geduldet wurde, was der Anfang des Müssiggangs und ausgelassener Sitte ist, – dann haben sie ihren Kindern eine Jugendzeit erhalten, auf die ein glückliches Alter folgen und ruhen kann. Christliche Eltern, die im Glück den Dank an den Himmel nicht vergessen, die im Unglück, durch ihren Glauben und die Uebung des Glaubens gestärkt, nicht verzweifeln, die auf Gottesfurcht und Gottesdienst ihr Haus gegründet, und darnach die Ihrigen in Ernst und Liebe leiten, die gebären und erziehen der Welt keine Kinder, welche ihnen zur Schande, der Gesellschaft zur Last, Allen eine geschwungene Geißel sind.

Und das gilt von Reichen und von Armen. Den Armen sind jene die einzigen Güter in einer harten, habsüchtigen Welt, den Reichen ein Damm vor thörichtem Uebermuth, ein Schmuck, der sie auch ohne Noth die Noth ihrer Brüder mitfühlen und erleichtern läßt. Daß doch alle Kinder mit Freude auf die Vergangenheit, alle Eltern ohne Furcht in die Zukunft blicken könnten! »Täuschet euch nicht! was der Mensch säet, das wird er erndten.« Wie oft erschallt bittere Klage hochbetagter Väter und Mütter über Härte und Undank erwachsener Kinder! wie oft sieht man sie von ihrem Heerde ohne Erbarmen weggedrängt, kann kaum die Stunde erwarten, wo sich die Augen schließen, die so liebevoll an der Wiege gewacht und, ohne es zu wissen, die Natternbrut beschützt! Wie oft sind den Eltern die eigenen Kinder eine fest gebundene Ruthe, die ihnen Alles gibt, was ein Menschenherz quälen und brechen kann!

Aber könnten wir überall, wo wir solches sehen und hören, auf die Anfünge zurückgehen, so würden wir ausrufen: »Sammelt man Feigen von den Disteln oder Trauben von den Dornen?« Matth. 7, 16. Oder glaubet ihr, eure Kinder werden euch Gehorsam und Ehrfurcht erweisen, nachdem ihr vor ihren Augen weder Dank noch Ehrfurcht gegen Gott gezeigt, wohl mit Worten gelehrt, aber durch ein christliches Leben nicht bewiesen? Habt ihr sie nicht Gottesfurcht gelehrt, so werden sie euch um so weniger fürchten, als sie in euch gebrechliche Menschen voll Fehler und Leidenschaften erblicken, und euch als Unnützen das Haus über dem Haupte zusammenbrechen.

Oder ist ihr Leben darum gesichert, weil ihr ihnen Hab und Gut geben könnt? Aber welche Macht allein bewahrt sie vor Verschwendung und lehrt sie Gerechtigkeit? Weißt du nicht, daß jedes Schiff, auch das mit dem Kostbarsten beladene, ohne sicher leitende Hand an tausend Klippen zerschellt und nicht zum Hafen gelangt? Wo sind aber die Augen, wo ist die Hand, die euch und euere Kinder sicherer leitet, als die des allmächtigen und allgütigen Gottes? Ohne seine Erleuchtung ist jede Gabe, ist alles Wissen eine Waffe, die nur zerstören kann; ohne Christenthum, ohne christliche Zucht habt ihr in Mühe gesäet und werdet in Thränen erndten; und hättet ihr ihnen Alles gegeben und sie Alles gelehrt, sie treiben wie reiche, aber segel- und ruderlose Schiffe auf offenem Meere; dann haben sie schreiben gelernt, um zu fälschen, und rechnen, um zu betrügen. ¶

Sehet und erkennet an dem Blute hier die bittern Früchte vernachlässigter Erziehung. Denn auf die Anfänge nicht christlicher Zucht wirft der Hingerichtete den ersten Stein der Anklage, davon nur seine Mutter ausnehmend, von der er sagt, daß sie stets wie ein Engel ihm zur Seite gestanden, durch ihr Gebet ihn beschützt, bis mit ihrem allzu frühen Tod auch dieser Stern herabgesunken und der Himmel sich ihm verdüsterte. Nun in die Welt hinaus tretend, »was sah ich?« rief er aus; »des Guten wenig, des Bösen viel, und überall laute, tausendfache Einladung dazu; und das brachte mich dem Unglück mit doppelten Schritten näher.«

Gewiß, die Welt, ein offener Markt, wo jede Leidenschaft geweckt, zu jedem Genuß eingeladen wird, die weiß unsere Kräfte nur zu prüfen und zum Kampfe herauszufordern; gewiß, wer ohne höhere Stärke, ohne schützende Waffen heran tritt, der ist schon halb unterlegen; sie weiß nichts von Gottesfurcht, von Gewissen und Gebet, sie weiß nichts vom Empfang der heiligen Sakramente; in ihr steht hoch, wer dieß alles nicht zu haben und nicht zu kennen scheint, und am höchsten, wer es zu verspotten und öffentlich durch die That zu läugnen die erschreckliche Kühnheit hat. Wenn man aber von dem Hingerichteten in Wahrheit nicht sagen kann, daß er weder dem Spiele noch dem Trunke ergeben war, so fröhnte er um so mehr Ausschweifungen, welche mit scharfen Zähnen an der Kraft des Körpers wie des Geistes nagen, und die so sehr jedes Gefühl, jede Scham in ihm tilgten, daß er die erste seiner schauderhaften Thaten vollbringen und in wenigen Tagen vergessen konnte. All das wußte er zu verbergen, und galt so der Welt für einen Mann, der unbescholten und arbeitsam ist.

Nach einem solchen Leben trat er in den Stand der Ehe, und rechtfertigte alsbald die Worte der Schrift: »Die so in den Stand der Ehe treten, daß sie Gott von sich und ihrem Herzen ausschliessen und ihre Lust also pflegen, wie Pferd und Maulthier, die keinen Verstand haben; über die hat der Böse Gewalt.« Tob. 6, 17. Er selbst bezeichnet als die zweite Stufe seines Unglücks ein unglückliches eheliches Leben. Kann Jemand darüber staunen? staunen müßte man, wenn es sich nicht also begeben. Hat Lust und Ausschweifung Jemanden in die Bande der Ehe geführt, was erwartet ihr von ihm? Ja, ist es unchristlicher Sinn, welcher die Bande der Ehe knüpfte, so wird auch nirgends die Kraft zu finden sein, weder die Pflichten dieses Standes zu erfüllen, noch seine Beschwerden zu ertragen. Und sagt ihr, daß viele Ehebündnisse durch äußere Rücksichten geschlossen werden, gut, so habt ihr auch damit die Quelle genannt, die Quelle so vieler unglücklicher Ehen. Nehmet an, wie man sich manchmal nicht heimlich, sondern laut zuruft: Rücksicht auf Hab und Gut, Rücksicht auf körperliche Wohlgestalt haben irgendwo einen solchen Bund geschlossen; man wußte nichts von göttlicher Gnade, ohne welche die Ehe weder geschlossen noch gehalten werden kann. Kehret, ich will nicht sagen, nach Monaten, kommt nach Jahren wieder und sehet nach dem ehelichen Frieden. Es ist wahr, man hat Tausende beigebracht, damit aber auch Jemand in sein Haus geführt, der nur verschwenden kann, und – nach Jahren sind von den Tausenden kaum Hunderte noch zu zählen, dagegen Unzufriedenheit nicht zu messen. Bei Andern hat eine Krankheit von wenig Tagen das Feuer der Augen gelöscht, die Wangen gebleicht und die Kraft des ganzen Körpers gebrochen und damit den Abgott getödtet, den man anbetete, von einem andern Gott wollte man nichts wissen; daher dann Abscheu und Ekel für die Dauer mehr als Eines menschliches Lebens; dann erhebt sich Haß und Zorn gegen Unschuldige, zeigt sich Unzufriedenheit mit menschlichen und mit göttlichen Dingen.

O könnte man in den ersten Tagen des Jubels in die Ferne schauen und das Schicksal so mancher Ehe sehen, könnte man sehen, wie die Trauer- und Jammergestalten schon so bald heraneilen und eine unsichtbare Hand die Blumen und Kränze zerreißt, – wie mit einem Donnerschlage würde Sang und Klang verstummen und Alles entsetzt von der Stelle fliehen. So war auch das eheliche Leben des Hingerichteten nach seinem öffentlichen Geständniß bald ein Leben voll Qual und Bitterkeit. Wo die größere Schuld liegt, durch wessen Schuld Haß und Abneigung unheilbar geworden, das weiß der allwissende Gott.

Ist aber Jemand, der durch Wort oder That das Band zwischen den Eheleuten mit frevelhafter Hand zerrissen, dadurch mithelfende Ursache an den folgenden Frevelthaten und an dem schweren Unglück einer ganzen Familie gewesen, dem rufe ich von dieser Stätte der Gerechtigkeit Wehe! zu. Wenn auch dem Arm eines menschlichen Richters nicht erreichbar, dem ewigen Richter, der nicht an menschliche Augen und Zungen gebunden ist, entweicht er nicht. Und so gewiß es sein Wille gewesen, den Mörder in seinen Schlingen zu fangen und dessen Blut hier zu vergießen, so gewiß wird er Thaten nicht unbestraft lassen, die mit beigetragen, eine ganze Familie, unschuldige Kinder, in namenloses Unglück hinabzustossen. ¶

Eine der schwersten Folgen dieser Ehe war bald peinigende Armuth. Sehet, so sind unglückliche Ehen, so ist ein unchristliches Leben die Quelle, die unerschöpfliche Quelle der Armuth. Sie waren nicht arm, aber durch ihr Leben wurden sie arm. Und daran knüpfte sich alsbald grössere Schuld und andere Verbrechen. Nicht fleißige Arme sind eine Last der Gemeinde, sondern jene Müssiggänger, die das Ihrige verschwendet, ohne Christentum und Zucht, voll Frechheit, ohne Hand und Fuß zu rühren, ernährt werden wollen und ernährt werden müssen von fleißigen Händen. Es gibt kein göttliches Gesetz, das dem Armen, weil er arm ist, die Ehe verböte; aber nicht aus armen Ehen, die christlich sind, strömt jene Noth wie Wellen einer unversiegbaren Fluth, die Alles zu verschlingen droht, sondern aus Müssiggang, Verschwendung und Zuchtlosigkeit, – aus solchen Ehen, in denen Ungebundenheit der Sitten, Ungehorsam gegen menschliche und göttliche Gesetze den Kindern als das größte Erbe von den Eltern übertragen werden; von Eltern der Art stammen Kinder, die, kaum der Schule entwachsen, mehr Bedürfnisse haben, als vor hundert Jahren Erwachsene. Woher Armuth? Von einer maßlosen Verschwendung; Niemand will hinter dem Andern zurückbleiben: der Knecht dem Herrn es gleich thun, die Magd der Frau, – daher so viele Arme, so viele unchristliche Arme mit so frevelhaften Gelüsten, mit so ungemessenen Anforderungen, daß sie Zorn und Bestürzung zugleich erregen.

Wo wird das enden? Wo es hier geendet, das sehet ihr. Nachdem die Familie in Armuth geraten war, suchte er durch Diebstähle, die er wohl zu verbergen wußte, die entstandene Lücke des Vermögens auszufüllen; muthwillige, für ihn unnütze Beschädigungen an dem Eigenthum seiner Mitbürger zeigen die tiefe Bosheit eines erbitterten Gemüthes. Wen er immer für seinen Feind hielt, – und er hielt manchen für seinen Feind, – auf den lauerte seine Rache, nach dessen Eigenthum richteten sich zur Nachtzeit seine Füsse und seine Hände. So kam das Hungerjahr, das Viele in Gesinnung und That prüfen sollte. Aber nachdem es mit ihm so weit gekommen, daß er Noth empfand, aber nicht ärger, als Andere, die ehrlich und christlich lebten, – was that er? erkannte er in seinem Willen und Leben die Schuld von dem, was er sich und seiner Familie aufgebürdet? Mit Nichten. Jetzt war ihm, als sei kein Gott im Himmel und keine Gerechtigkeit auf Erden.

Versteht es wohl: ein Leben von vielen Jahren lag hinter ihm, in welchen er wenig nach Gott, noch weniger nach menschlicher Gerechtigkeit gefragt hatte; nachdem ihm aber das Wasser bis zum Munde drang, wirft er Schuld und Noth auf Gott, den er kannte und nicht liebte, auf menschliche Gerechtigkeit, die er kannte und doch mit Füssen trat. Jetzt nahte aber auch schnell das Aeußerste. Immer hat es sich durch alle Zeiten an Einzelnen, wie an ganzen Völkern, als Wahrheit bewiesen, daß zuletzt die eigene Bosheit zum Steine wurde, der mit zermalmender Wucht auf das Haupt dessen niederstürzte, dessen Hände ihn zum fremden Schaden fortgeschleudert, daß die Sünde zur Geißel wuchs, mit der sie sich wie im Wahnsinn bis auf die Knochen, bis zum Tode peitschten, daß die Frevelthaten endlich die tiefen Gruben öffneten, in welche das Wohl der Einzelnen, der Familien und der Gemeinschaften rettungslos hinabsank.

Wenn Gottesfurcht der Anfang der Weisheit ist, so ist Gottlosigkeit das weit geöffnete Thor zu jedem Frevel und zu jeder Unthat. Das bewies der Hingerichtete durch die erste seiner Blutthaten, welche von solchen Umständen begleitet ist, von solcher, mehr als thierischen Rohheit, von solcher Schamlosigkeit zeugt, daß sie selbst unter den rohesten Völkern als eine der größten Gräueltaten verabscheut worden wäre. Was uns aber noch mehr mit Entsetzen faßt, das ist, daß ihn die vollbrachte That wenige Tage kaum beunruhigte, daß sein Gewissen darüber stumm war wie das Grab, daß er nach Jahren kaum den Tag, kaum das Jahr anzugeben wußte, an dem er die grauenvolle That verübt hatte.

Dieser folgte vor einem Jahre das andere, schwere Verbrechen. Augenblickliche Bedrängniß, der Klang, der Anblick einiger Silbermünzen, das waren die Schlingen, welche das Böse vor ihm ausbreitete. Da entstand kein schwerer Kampf zwischen Gut und Bös. Längst schon hatte er seinen Schutzgeist von sich gestossen, und dem zur Linken, der finstern Macht des Bösen, mit Leib und Seel sich hingegeben. Es war nur ein kaltes Abwägen, bei der die Hand sicher, das Auge fest auf die schwankenden Schalen hingerichtet ist; es war kalte Berechnung, wie das erkorne Opfer morden, den Gemordeten verbergen und das Blutgeld für sich verwenden.

Alles hatte er berechnet, Alles überlegt, aber wie Kain, der Brudermörder, Eines vergessen: daß das vergossene Blut von der Erde zum Himmel um Rache schreie. Gott, der Herr, hörte sein Geschrei und sandte seine Boten aus. Der Sturmwind raste einher und riß die dürren Blätter von der Grube des Gemordeten fort, Regenguß fraß die Erde weg; da erschien die Hand der Leiche, um der Gerechtigkeit den Mord, bald auch den Mörder zu zeigen. Sie hat ihn gefunden und hier vor euren Augen ihm den schweren Lohn zugewogen. Dort die Saat, hier die Erndte.

Ich bin am Ende. Nachdem ich, Blutspuren folgend, euch in die Trümmer eines christlichen Hauswesens führte und von einem Sohne und Familienvater nur sagen konnte, was uns mit Scham, mit Bestürzung und mit Entsetzen erfüllt, so bleibt mir Eines noch zu sagen übrig, der Menschheit zur Ehre, uns Christen zum Trost, daß der arme Sünder nicht unbußfertig, nicht ohne tiefe Reue aus dieser Welt geschieden ist. Das war ein schreckliches Erwachen! Der Anblick seiner armen, unschuldigen Kinder, der Gedanke an ihr künftiges Schicksal, die Erinnerung an das Grab seiner Mutter sprengten endlich das dreifache Erz, das sich um eine menschliche Brust gelegt, weckten mit Hammerschlägen das Gewissen, daß es gleich einer gepreßten Flamme hervorbrach und ihn erfaßte, so daß er laut zu Gott und Menschen um Vergebung jammerte, und sich krümmte wie ein Wurm, den ein Stein zermalmt. Gott der Herr sei ihm gnädig und barmherzig! ¶

Christliches Volk! auf Christenthum und christlicher Zucht beruht unser Aller Wohl: der Gehorsam eurer Kinder, die Heiligkeit der Ehe, das Glück der Familien, das Heil und der Friede eurer Seele; um Christi willen wird den Armen das Brod gebrochen und den Kranken und Nothleidenden hilfreiche Hand geboten. Und wer daran seine Hand zu legen wagt durch Wort oder That, der zerrüttet eine Ordnung, auf die nur Verwirrung folgen wird.

Wisset, die alte heidnische Welt hatte einst jede Frucht gepflückt, jeden Genuß bis zum letzten Tropfen getrunken, jeder Leidenschaft die Zügel freigelassen, – und was war das Ende? eine Zuchtlosigkeit, ein Sittenverderbniß durch alle Klassen, das Worte nicht schildern können und wie die Welt noch keines sah, solche Angst, solche Verzweiflung über den Erdkreis, daß die Fugen des Gebäudes auseinanderwichen und es mit seinen tausend Göttern, trotz seiner Weisheit, seiner Pracht und seines Reichthumes, krachend zusammenbrach. Wer war nun, der den Blutenden die Wunden verband, den Erdkreis von der ewigen Angst entlastete, unter den Trümmern umherwandelte, und die Welt und die Menschheit neu schuf? Die Gnade des Himmels, die Macht des Christenthums, und außer seiner Ordnung gibt es keine Ordnung mehr.

Schon einmal hat es die Welt versucht, diese christliche Ordnung umzukehren und nach Menschen-Art und Menschen-Weisheit Alles neu zu bauen. Sie hat es schwer gebüßt, und sank, nachdem sie die Kreuze ausgerissen, den Unglauben auf den Altar erhoben und alle Verhältnisse verwirrt hatte, rathlos, verzweiflungsvoll und mit Wunden bedeckt, zu den Füssen des göttlichen Erlösers, den sie verspottet, und rief aus, wie der überwiesene Apostel: »Mein Herr und mein Gott!« Darum, wer an dieser christlichen Ordnung zu rütteln sich erkühnt, im Kleinen wie im Großen, der ist euer ärgster Feind; der lehret eure Kinder Ungehorsam, und bald auch die Ehe nicht mehr heilig halten, der zertrümmert das Glück der Familien, reißt den Frieden aus der Seele und schenkt ihr dafür Unglauben und Verzweiflung, der stößt euch zurück in die Nacht und pfadlose Wüste des Heidenthums. Amen. ¶

Kaplan Georg Pfahler, April 1848 (herausgegeben von Johann Thomas Stettner, Lindau).